Totengebet in der Matthäuskirche

Lesung: Elisabeth Herrmann stellte bei den Soroptimistinnen ihren neuen Krimi vor. Sie erzählte um ihr Bemühen um Authentizität - und hatte einen Lesetipp passend zum Ort

Gütersloh. Krimi in der Kirche? Ein für eine Lesung aus einem Kriminalroman eher ungewöhnlicher Ort. Dorthin, in die Matthäuskirche, hatte die Gütersloher Sektion des Klubs Soroptimist International, des weltweit größten Netzwerks berufstätiger Frauen, die Schriftstellerin Elisabeth Herrmann eingeladen. Immerhin gestattete der Titel ihres gerade bei Goldmann erschienenen Buches Anklänge an die Örtlichkeit: "Totengebet". 

Und den biblischen Namen Rebecca trägt das Mädchen, das zu Beginn des Romans im Mittelpunkt steht. An einem Oktoberabend 1987 wartet die 17-jährige Israelin am Hafen von Haifa auf einen jungen Deutschen, den sie liebt, mit dem sie ein Kind erwartet. Sie wollen das Schiff nach Limassol nehmen. Eine Flucht. Doch statt des Geliebten steigt ein anderer aus dem letzten Bus, der aus Richtung des Kibbuz Jechida kommt, Uri. Sie will ihm aus dem Weg gehen, er will sie aufhalten. Rebecca hastet verzweifelt durch die Stadt. "Sie lief geradezu gegen eine schwarze Wand."


Mit undurchdringlich wirkenden Geschehnissen und stellenweise dunkler Vergangenheit bekommt es fast 30 Jahre später, im Berlin der Gegenwart, der Rechtsanwalt Joachim Vernau zu tun. Er hilft einem von Schlägern bedrängten älteren Juden, wacht erinnerungslos im Krankenhaus auf, hat Bilder einer Frau mit Davidstern im Kopf. Es ist Rachel, die in Berlin aufgetauchte Tochter Rebeccas. Sie sucht offenbar ihren Vater und hat nicht die beste Meinung von ihm.


Das veranlasst, wie die knapp 100 Zuhörerinnen erfuhren, auch Vernau, nach Israel zu reisen. Denn der hatte damals, im Sommer 1987, zu den freiwilligen Helfern im Kibbuz gehört, zu den als Rachels Vater infrage kommenden jungen Helfern, die nun mysteriösen Anschlägen zum Opfer fallen. "Ja, es scheint ihnen allen an den Kragen zu gehen", ließ Elisabeth Herrmann wissen.


"Ich weiß im Großen und Ganzen, wie es endet", kennt sie selbst schon vor dem Schreiben den Romanverlauf. Die Handlung genau zu strukturieren ist ihr sogar das Schwierigste an der Arbeit der Schriftstellerin. Auch sieht sie sich zuvor die Schauplätze an, denn sie "versuche, möglichst authentisch zu schreiben."


Israel kannte die in Marburg geborene Berlinerin, die als Kulturredakteurin beim Radio ("Ich habe, glaub? ich, zu viele schlechte Bücher gelesen") zur Autorin wurde, aber bereits von früheren Besuchen. Sie hat sogar selbst als Mädchen in einem Kibbuz gelebt, Tagebucheinträge aus jener Zeit haben sie zu dem Roman angeregt. Auch der soll wieder mit dem bekannten Schauspieler Jan Josef Liefers in der Rolle des Anwalts Vernau verfilmt werden.


Als Herrmann im Gespräch mit dem Publikum eine dem Buch Genesis entlehnte Formulierung gebrauchte und ihr im selben Moment der Leseort bewusst wurde, drehte sie sich zum Kreuz hinter ihr um. Und verwies darauf, dass es gute Bücher auch im Buch der Bücher gebe, etwa das Buch Rut. Der Lesetipp für kurze vier Kapitel Weltliteratur rechtfertigte es dann allemal, für einen Abend den Lesetisch an die Stelle des Altars gerückt zu haben.

Rolf Birkholz: Neue Westfälische 07 - Gütersloh, Freitag 08. April 2016


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